Es geht gerade ein altbekanntes Gespenst um. Die Kulturhygieniker fordern wieder einmal den Sturz von Denkmälern und sprechen vom sauberen Wien. Können wir ernsthaft annehmen, wie uns eine siebenköpfige Expertenkommission nun glauben machen möchte, dass Menschen reihenweise durch das Denkmal eines Bürgermeisters zu Antisemiten oder Faschisten werden? Geschichtsaufarbeitung ist das nicht, eher das Gegenteil. Würde nicht ein wertvoller Diskurs beendet durch die Entfernung eines Denkmals, dass uns die Variabilität des Menschseins vor Augen führt und uns Wachsamkeit lehrt? Diese Frage soll nun eine fünfundvierzigköpfige Fachkommission klären. LOL
In der Geschichte hat sich immer wieder gezeigt, dass kulturelle Säuberungen und das Auslöschen von kollektiver Erinnerung meist die Vorboten oder Merkmale links- oder rechts-faschistoider Ideologien waren. Würden dieselben Eiferer und Ideologen, die heute den Sturz des Karl-Lueger-Denkmals fordern auch die Entfernung des Che-Guevara-Denkmals fordern, welches 2018 erst in Wien aufgestellt wurde? Bei beiden findet sich zweifelsohne der berühmte Dreck am Stecken, sei es Antisemitismus oder die Ermordung politisch Andersdenkender. Die eigene Geisteshaltung verklärt dann oft die selbst gewählten Ikonen und reduziert die anderen ausschließlich auf das Negative. So machen es die rechten und linken Ideologen seit Jahrhunderten. Die Vergangenheit umschreiben zu wollen und Personen aus der Geschichtsschreibung zu tilgen ist ein Zeichen totalitärer Ideologien.
Denkmäler sind Zeitzeugen, die zu Zeiten ihrer Errichtung der Verherrlichung, Huldigung oder im einfachsten Fall bloß der Erinnerung dienen sollten. Im jeweiligen zeitlichen Kontext betrachtet ändert sich natürlich der Blickwinkel oder Erkenntnisse aus der Geschichtsforschung werfen ein neues Licht auf eine einst geschätzte Person. Wir täten gut daran, Denkmäler als das zu betrachten, was sie sind: eine Erinnerung an bestimmte Aspekte einer Person, die von einer Mehrheit damals als erinnerungswürdig betrachtet wurde, heute aber natürlich kritisch diskutiert werden kann und soll.
Ähnlich verhält es sich beispielsweise mit dem Schaffenswerk historisch relevanter Autoren, Dichter, Musiker, Literaten usw. Wird das Werk weniger wert, nur weil dessen Erschaffer den einen oder anderen persönlichen Makel hatte, der damals in der öffentlichen Wahrnehmung eventuell gar nicht als solcher galt? Man muss die Arbeit, das Schaffen und Wirken getrennt von der Person betrachten können. Man muss sagen können: „Ja, er oder sie war ein Arschloch aber das Werk ist trotzdem wertvoll.“
Wo soll das überhaupt hinführen? Es gibt bei jeder historischen Person etwas, das man im gegenwärtigen Zeitgeist nicht in Ordnung finden könnte, je nach Blickwinkel. Sind Franz-Josef oder Maria-Theresia die nächsten Opfer der Kulturrevolution? Aus der Vergangenheit gilt es zu lernen, nämlich wie man etwas machen kann und auch wie man es nicht machen sollte. Deshalb ermahnt ein Denkmal schließlich zum denk-mal.
Marinetti hatte einst in seinem futuristischen Manifest gefordert: „Wir wollen die Museen, die Bibliotheken und die Akademien jeder Art zerstören …“. Jede Erinnerung soll ausgelöscht werden, damit Neues entstehen kann. Wenigstens ist er bei seiner radikalen Forderung nicht allzu selektiv vorgegangen, so wie es heute gern gemacht wird: Was nicht ins eigene Weltbild passt, muss weg. Einigen reicht schon das Geschlecht der Person als knock-out-Kriterium. Und ja, ich blicke in eure Richtung, ihr linken, rechten und politisch korrekten Eiferer, ihr cancel-culture-Propagierer. Ihr seid nicht besser als jene, die ihr zu stürzen versucht. Marinetti ging übrigens später mit Mussolini’s Faschisten ein Bündnis ein.
Interessant wäre auch, welche Rolle die Manipulation sozialer Medien im erweiterten Kontext spielt. Durch social bots und computational propaganda üben nicht nur Weltmächte Einfluss aus und versuchen den Diskurs zu lenken, Geschichte umzuschreiben und political correctness als Mittel zur Destabilisierung einer Gesellschaft einzusetzen. Auch kleinere Interessensgruppen nutzen die Filterblasen zur Indoktrination und Rekrutierung. Hinter vielen Bewegungen stehen oft erstaunlich wenige echte Personen.
Freiheit konfrontiert uns zwangsläufig mit Auseinandersetzungen, Meinungen und Diskursen, an denen wir intellektuell wachsen können. Wer aber Geschichte auslöschen, verstecken oder manipulieren möchte, dem liegt nichts an einer freien, mündigen und kritischen Gesellschaft.