Trump ist kein Politiker, er ist Projektionsfläche – in vielerlei Hinsicht. Darüber hinaus ist er aber primär ein Normenbrecher. Für die Einen ist er das Sprachrohr unausgesprochener Gedanken, die Anderen orten den personifizierten Beelzebub, der die gewohnte Ordnung infrage stellt. Er polarisiert die Massen und befördert niedere Emotionen im Durchschnittsmenschen zutage. In der Vergangenheit beschrieb der Journalist Charles Krauthammer ein Phänomen: eine Art „Paranoia“ bei ansonsten besonnenen Menschen, ausgelöst durch die Politik oder schlicht die Existenz einer bestimmten Persönlichkeit bzw. Person im Amt. Diese Abwehrhaltung kann mitunter so intensiv werden, dass sie obsessive Züge annimmt, Wokeness ist dabei der Kampfbegriff der Paranoiden, die ihr Weltbild bröckeln sehen.
Trump spricht aus, was in manchen Kreisen als unsagbar gilt – Gedanken, die viele teilen, aber nicht laut äußern. Seine Haltung stellt sich gegen einen vorherrschenden Zeitgeist, gegen eine als einschränkend empfundene politische Korrektheit. Eine Projektionsfläche ähnlicher Art in Österreich ist beispielsweise Herbert Kickl.
Der jeweilige Parteiobmann der FPÖ scheint – unabhängig von der jeweiligen Person, beginnend seinerzeit mit Jörg Haider – eine ähnliche Rolle fast schon schablonenhaft zu besetzen. Ebenso, jedoch in einer etwas weniger kantigen, sowie in ideologisch diametraler Form, erfüllt auch Leonore Gewessler der Grünen die Rolle des Nonkonformisten: Mit ihren Alleingängen in Sachen Renaturierungsgesetz, den fragwürdigen Werbekampagnen fürs Klimaticket, ihren exorbitanten Ausgaben für Websites und Berater (mindestens 71 nahezu unbekannte Webauftritte im Wert von mehreren Millionen Euro) und Förderungen, im Fall Lobautunnel sowie ihrer „angriffigen“ Kommunikationskultur spielt sie ebenso die Rolle der disruptiven Rebellin, der aufmüpfigen Alleingängerin. Sigried Maurer schlägt hier in die gleiche Kerbe, man denke nur an ihr Mittelfinger-Foto beim Sekttrinken und ihrer Flugzettel-Aktion, die ihr ein Parlamentsverbot einbrachte.
Ihre Rolle wird medial jedoch unterschiedlich kommuniziert: Während die Grüninnen zu frechen Politrebellen stilisiert werden, werden Kickl und Trump dämonisiert, ihnen autokratische Züge, Egoismus und diktatorische Tendenzen zugeschrieben (die vermutlich auch alle der genannten Personen besitzen, egal ob grün oder blau ;). Auch die oben erwähnte Art von Paranoia ist bei den Gegnern der genannten Personen wieder spürbar: Diffamierungskampagnen, bewusste Fehlinterpretationen und schlichtweg blanker Hass sind wiederum Teil der besagten Abwehrhaltung. Nicht verwunderlich ist es deshalb, dass die rechten und linken Populisten um die Vorherrschaft in den sozialen und konventionellen Medien kämpfen – siehe Kickl, der einen blauen Medienminister stellen wollte, oder linksextreme Gruppen, die Social-Media-Beschränkungen verhindern wollen. Was den genannten Personen wiederum gemeinsam ist: sie sind Normenbrecher, sie polarisieren. Nur ist die Dimension ihrer Handlungsmöglichkeiten – glücklicherweise – eine andere.
Trump, Kickl, Gewessler und Co sind Normenbrecher
In traditionellen Gesellschaften regelten Normen und tabuisierte Handlungen das Verhalten gegenüber Personen, Orten oder Dingen, um die soziale Ordnung zu bewahren. Ein Normenbruch zog Konsequenzen nach sich, oft in Form sozialer Ächtung oder ritueller Strafen. Psychologisch betrachtet löst ein Normen- oder Tabubruch zunächst Abwehr aus – der Mensch klammert sich ans Vertraute, selbst wenn dieses überholt ist. Normen sind oft tief in den Werten einer Gemeinschaft verwurzelt. Sie benötigen keine Gesetze, da die Furcht vor Ausgrenzung Strafe genug ist. Viele traditionelle Normen haben einen rationalen Kern: Sie verhindern Krankheiten, regeln den Umgang mit Tod oder fördern respektvolle Sprache, um Konflikte zu vermeiden.
Grundlegende Tabus – Mord, Diebstahl, Ehebruch oder Betrug – finden sich in fast allen Kulturen. Im jüdisch-christlichen Kontext sind solche Regeln etwa in den Zehn Geboten festgehalten. Doch jede Gesellschaft entwickelt auch eigene, teils skurrile Tabus, die Außenstehenden unverständlich erscheinen mögen, wie die Ablehnung bestimmter Speisen oder Gesten in verschiedenen Kulturen.
Trump bzw. seine österreichischen Pendants sind das disruptive Element im gewohnten Weltbild, vor allem für jene, die ihre psychische Unversehrtheit in der Ideologie der politischen Korrektheit suchen.
Hier zeigen die Konservativen und die Progressiven Einigkeit – in ihren festgefahrenen Haltungen versuchen sie, das Gewohnte zu erhalten.
Förderliche und schädliche Normen
Förderliche Normen – wie das Verbot von Inzest oder Mord – ermöglichen die Entfaltung des Menschen, indem sie klare Orientierung bieten. Nichtfunktionale, schädliche Normen hingegen schränken Freiheit ein, oft als Werkzeug ideologischer Kontrolle. Sie äußern sich in Denk- und Sprechverboten, die offene Debatten ersticken, etwa wenn kritische Fragen zu bestimmten Themen tabuisiert und in den Bereich des Unsagbaren gelenkt werden. Oft findet auch eine normative Deutungsumkehr statt: Von weißen alten Männern im negativ kommunizierten Kontext zu sprechen ist für manche Gruppen völlig in Ordnung. Von schwarzen alten Männern oder weißen alten Frauen wird jedoch nie gesprochen, das wäre diffamierend und diskriminierend. Mit zweierlei Maß zu werten, ist ein deutliches Anzeichen für schädliche Normen oder Tabus.
Ideologisch motivierte Gruppen nutzen schädliche Normen und Tabus, um ihre moralische Überlegenheit zu demonstrieren.
Wer sie bricht, wird lautstark angeprangert – sei es für die Wortwahl, den Lebensstil oder die Infragestellung bestimmter Themen. So kann etwa die legitime Sorge um den Klimaschutz in eine dogmatische Ideologie umschlagen, die rationale Diskussionen blockiert. Greta Thunberg ist dabei zum prototypischen Beispiel geworden.
Förderliche Normen orientieren sich an objektiven Wahrheiten und unterstützen ein freies, reflektiertes Zusammenleben. In Themen wie Migration, Gender oder Klima sind verschiedene Perspektiven legitim und sollten diskutiert werden, ohne dass Andersdenkende ausgegrenzt werden. Es muss verhindert werden, dass sich schädliche Normen etablieren oder ideologische Gruppen Deutungshoheit erlangen.
Politiker, die Normen infrage stellen, lösen zwangsläufig starke Emotionen aus. Sie fordern das Gewohnte heraus, was viele als Angriff auf ihre Werte empfinden. Gleichzeitig sehen andere darin eine Befreiung von überholten Denkzwängen. Für den Diskurs wichtig sind Normenbrecher aber allemal.