neue alte ängste bei lehrenden

Obwohl generative KI-Systeme wie ChatGPT seit mehreren Jahren existieren, hat erst die Verknüpfung mit einem Sprachmodell dieser Technologie eine breite Öffentlichkeit beschert. Speziell im Schulbereich ist die Aufregung groß, doch worum geht es den Alarmschreiern überhaupt? Ist es die Angst, die Schüler könnten nun ihre Hausübungen und Abgaben mittels KI-Generatoren erstellen, und sich somit einen Notenvorteil verschaffen? Überraschung: Das ging auch schon vor KI. Lehrkräfte, ändert eure Beurteilungssysteme und den Unterricht, hin zu Kompetenz und Verständnis, weg vom Auswendiglernen.

Drehen wir die Zeit etwas zurück, zu jenem Zeitpunkt, als Texas Instruments 1967 den ersten elektronischen Taschenrechner entwickelte. Groß war die Aufregung der Mathematiklehrer, im ersten Reflex wurden Verbote für den Unterrichtseinsatz gefordert. Die Schüler verlernen ja das Rechnen, so das Argument. Etwa 10 Jahre später wurden Taschenrechner erstmals im Schulunterricht, meist in höheren Schulstufen, eingesetzt. Generationen von Maturanten und AHS/BHS-Schüler nutzten fortan den Klassiker TI-30 zur Unterstützung bei Potenzen/Wurzeln, COS/TAN, LOG oder LN. Schularbeiten und Reifeprüfungen bestanden hauptsächlich aus rechenintensiven Beispielen, die das mathematische Handwerk schulen sollten. Wie nützlich so etwas im weiteren Leben ist, darf man ruhig hinterfragen. Das Trainieren von Schemata und Tastatureingaben macht schließlich niemanden intelligenter oder lösungskompetenter.

Früher musste man rechnen können

Da die Entscheidung bis in die Neunzigerjahre im individuellen Ermessensspielraum der Lehrkräfte und Schulen lag, waren bei der Matura oft keine Taschenrechner als Hilfsmittel zugelassen. Der Mathematikunterricht, der eigentlich kritische und lösungsorientierte Geister formen sollte, die effizient und effektiv zur Lösung einer Verständnisfrage finden, war oft nur Handwerk und auswendig erlernte Rechenschemata. In Frankreich ließ in den 80er-Jahren ein französisches Forschungsinstitut für Mathematikunterricht eine Gruppe von Schülern folgendes ausrechnen:
Auf einem Schiff befinden sich 26 Schafe und 10 Ziegen.
Wie alt ist der Kapitän?
76 der 97 Kinder rechneten aus, der Kapitän sei 36. Mathematik zum Selbstzwecke, befreit von jedem Verständnisansatz, der im Leben außerhalb des Klassenzimmers nützlich sein könnte. Diese Zeiten scheinen vorbei zu sein, setzt die standardisierte Reifeprüfung in Österreich mit ihren kompetenzorientierten Ansätzen doch nun vielmehr auf Verständnis, als bloßem Rechnen.

Mittlerweile, in Österreich seit 2010 und in Deutschland seit 2012, ist der Taschenrechner offiziell als Hilfsmittel in Form von CAS – Computeralgebrasystem oder WTR – Wissenschaftlicher Taschenrechner bei Reifeprüfungen zugelassen. Unterstützende Technologie ist selbstverständlich geworden. Die Einführung der Taschenrechner hat nicht unbedingt zu leichteren Schularbeiten oder Beispielen geführt, vielmehr werden Verständnis und Lösungskompetenz abgefragt. Natürlich können auch mehr Beispiele aus unterschiedlichen naturwissenschaftlichen Disziplinen behandelt werden, da ja die Zeit, die früher für das manuelle Rechnen aufgewendet wurde, nun anderweitig verfügbar ist. Diese Situation ist vermutlich für die Mehrzahl der Maturanten vorteilhafter für ihr weiteres Leben, da diese den Logarithmus zwar evtl. nicht mehr händisch ausrechnen können, dafür aber wissen, wozu dieser eingesetzt wird.

Rechnen können müssen die Anderen

Und dann gibt es natürlich auch noch jene, die Mathematik auf universitärem Niveau lernen und anwenden sollen. Müssen die händisch rechnen können? Natürlich, da ihre Auseinandersetzung mit der Thematik viel tiefergehender und intensiver ist, als man das von Absolventen einer zB. berufsbildenden Schule verlangen kann. Grundlagenforschung und Wissenschaft können nicht ohne Verständnis des rudimentären Handwerks existieren. Die Einen nutzen Technologie zur Lösung eines Problems, welches sie kritisch erfasst und verstanden haben (sollten), die Anderen wissen zusätzlich noch, wie das Handwerk geht. Wer ein Loch bohrt oder eine Fläche schleift, muss ja auch kein gelernter Tischler sein.

Ähnlich verhält es sich mit KI-Systemen. Diese sind Werkzeuge, die uns repetitive, mühsame Arbeit abnehmen. Wenn sich der Webentwickler ein paar Codeschnipsel von der KI erstellen lässt, die er in seine Website einbindet, verringert dies den oft lästigen und langwierigen Programmieraufwand. Wer nicht weiß, wie mit dem generierten Code umzugehen ist, kann damit auch nichts anfangen. Somit sind KI-Tools natürlich gute Werkzeuge für Fachleute, fachlich unkundige Benutzer fangen mit dem Output wenig an. Wenn sich jemand eine Zusammenfassung oder Literaturvergleich eines Thomas-Mann-Romans erstellen lässt, wird er dadurch ja auch nicht zum Literaturexperten. Für den Germanistikstudenten bedeutet es jedoch, dass dieser in kürzerer Zeit mehr Input oder Ansätze für eine kritische Auseinandersetzung mit mehr Werken der Weltliteratur anstellen kann.

Wer sich auf KI-Systeme verlässt, ist ähnlich verlassen wie ein Schüler, der nur den Taschenrechner bedienen kann, also Rechnen kann, aber keine Ahnung hat, was da eigentlich ausgerechnet wird, bzw. wie das Konzept auf andere Probleme übertragbar wäre. Noch schlimmer wird es, wenn man KI-generierte Ergebnisse mangels Hintergrundwissen nicht auf Korrektheit überprüfen kann, dh. gar nicht versteht, was man da vor sich hat. Doch auch dafür gibt es eine Zielgruppe: Leute, die früher schon ihren Doktor Google gemacht haben, machen jetzt ihren Dr. ChatGPT und posaunen ihr zusammengekratztes Halbwissen selbstgerecht und unreflektiert in die sozialen Medien und den persönlichen Diskurs. Ja ich meine dich, Hr. oder Fr. Doktor Google, die für alles eine Studie kennt, aber nie die Quellen. 😉 Dieser Mechanismen bedienen sich besonders gern Populisten und die kulturalistische Linke.

Die Angst

Die Angst und Sorge einiger Lehrkräfte (die Besorgten sind glücklicherweise bei weitem weniger, als man annehmen möchte), ist unbegründet: Wer seine Hausübung per KI generieren lässt, macht nichts anderes, als von jemandem abzuschreiben. Der Nutzen für den unmotivierten Schüler oder die am Thema uninteressierte Schülerin ist nicht vorhanden – es ist somit Zeitverschwendung. So wie damals, als man noch gerechnet, aber nichts verstanden hat. Lehrerinnen, bringt den Schülern Kompetenzen bei, die Technologie als Werkzeug, als Teil des Lösungswegs notwendig machen, dann erübrigt sich die Sorge. Übrigens müssen und sollen Hausübungen nicht benotet werden, da nie klar ist, in welchem Kontext diese entstanden sind. Auch kann der Gewichtungsfaktor, mit dem die Erfüllung der Hausübung (zB. festgehalten als erfüllt, nicht erfüllt, über die Anforderungen erfüllt) eingerechnet wird, ein geringer sein. Die Stunde der Wahrheit schlägt im Unterricht (oder im Beruf/Leben), wenn ein Problem gelöst werden soll, bei dem man keinen Zugriff auf Technologie hat, oder dieser gar nicht nötig ist, da Verständnis und Kompetenz eingefordert werden.

Keine Angst, aber Vorsicht

So wie der Taschenrechner das Verständnis von Mathematik verändert hat, verändert generative KI als Hilfsmittel das Verständnis dessen, was Kompetenz bedeutet. Nicht auswendig Lernen und Wiedergeben, sondern Verständnis, Fähigkeit zu kritischem Denken und Problemlösungskompetenz. Technologie hilft uns, uns mehr darauf zu konzentrieren, was das Menschsein ausmacht. Danke KI, dass du uns Rechercheaufwand und Mühsal bei repetitiven Tasks abnimmst. <3

KI zeigt uns aber auch, wie wichtig kritisches Denken ist, betrachtet man die Fehlerquoten dieser Systeme. Wer in seinem Studium oder Ausbildung nun ChatGPT zur Generierung von Arbeiten nutzt, hat nicht verstanden, wozu ein Studium oder eine höhere Ausbildung dient und sollte auch folglich keinen Abschluss erlangen. Dazu müssen sich die Prüfungssituationen ändern, genauso wie Hausübungen und Hausarbeiten, Master- und Bachelorarbeiten nicht mehr als gewichtiger Anteil der Notenfindung beurteilt werden können. Auch muss der Unterricht in einigen Bereichen angepasst werden, es muss Lösungskompetenz anstatt Recherchekompetenz vermittelt werden. Ich stelle auch eine gewagte These auf: Der Grund warum ChatGPT in Studien überhaupt ein Problem darstellt ist, dass Leute studieren, die für ein Studium intellektuell gar nicht geeignet sind. Der steigende Akademikeranteil liegt nicht zwangsläufig an einer intelligenter werdenden Bevölkerung…

Exkurs: Wie funktioniert eigentlich eine KI

Das sei hier nur kurz dargestellt, vertiefende Inhalte dazu finden sich zur Genüge im Netz. Grundlage einer generativen KI bilden meist drei Systeme:

  • GAN Generative Adversarial Networks
  • Variational Autoencoders
  • Transformatoren.

GAN sind eine programmiertechnische Umsetzung neuronaler Netze, wie sie auch unser Gehirn nutzt. Ein Generator erzeugt dabei Inhalte, die den Ursprungsdaten, mit denen die Systeme trainiert werden, ähnlich sind. Ein anderes neuronales Netz, der Diskriminator unterscheidet die Quelldaten von den neuen Inhalten, damit präzisere Ergebnisse generiert werden. Variational Autoencoder basieren auf deep learning und nutzen Datenbanken und Datenmodelle, mit denen die Ergebnisse der generativen KI verbessert werden. Transformatoren ahmen kognitive Wahrnehmung nach, damit Eingaben verstanden werden können. Eine KI lernt dabei aus eigenen Fehlern, was jedoch in vielen Fällen auch nicht immer funktioniert. KI-Systeme generieren auch falsche Outputs und sind stark abhängig von der Qualität der Trainingsdaten und der Prompts, der Formulierung der Benutzereingaben. Auch erfinden die Systeme gern mal Quellen, wie auch OpenAI, die Firma hinter ChatGPT, einräumt und darauf hinweist, dass die generierten Inhalte auch schlichtweg falsch sein können. Es werden auch gern mal ganze wissenschaftliche Disziplinen wie „magnetische Linguistik“ von der KI erfunden. Nicht vergessen werden sollte, dass KI auch leicht manipulierbar ist und die Ergebnisse durch die Betreiber beeinflusst werden, sei es direkt oder indirekt durch die Auswahl der Trainingsdaten. Im schlimmsten Fall kann ein KI-Chatbot zur Propagandaschleuder werden.