Billa wirft mit seiner „Nicht gebraucht“-Kampagne wieder einmal die Frage auf, wie weit Werbung gehen soll. Plakatiert werden Aussagen wie „Ohne Matura kommst du nicht weit“, „Mit einer Behinderung wirst du nicht gebraucht“, „Älteres Personal einstellen lohnt sich nicht mehr“… Legitimieren die angeblich positive Absicht und die spätere Auflösung jene Statements, die tagelang ohne Kontext im öffentlichen Raum und in sozialen Medien zu sehen waren? Ich würde die Frage umformulieren: Wie glaubwürdig ist es, wenn gewinnorientierte Unternehmen Gesellschaftspolitik machen wollen?
Streng genommen würde ich bei dieser Kampagne auch gar nicht mehr von Werbung sprechen, da einer Werbung als solcher ein Bezug zum beworbenen Produkt, Dienstleistung oder Unternehmen innewohnt. Die Idee, Werbesujets ohne Bezug zum eigentlichen Werbeobjekt zu verbreiten, ist auch nicht einmal besonders innovativ, wurde diese doch in der Vergangenheit schon öfters von verschiedenen Agenturen aus der Werbetrickkiste gezaubert.
Der Unterschied zur aktuellen Billa-Kampagne ist jedoch gravierend: Während unaufgelöste Werbesujets bisher meist mit humoristischem Unterton oder begrifflicher bzw. bildhafter Überzeichnung einer späteren Aufklärung vorangingen, verantwortet die Agentur PKP BBDO nun etwas, das heutzutage von sensiblen Gemütern bereits als Hassrede oder Kränkung angesehen werden könnte. Billa argumentiert angesichts der öffentlichen Aufregung nun wie folgt:
Die Irritation wird aufgelöst, indem auf Plakaten BILLA-Mitarbeiter:innen stehen & diese Vorurteile entkräften. Unsere 33.000 BILLA-Mitarbeiter:innen spiegeln diese Vielfalt wider, darauf sind wir stolz.
Pressestelle Billa via Twitter
Wie unterscheidet sich nun ein unaufgelöstes Statement, hinter dem ein sehr kurz gedachter Ansatz der Irritation und Provokation steckt, von tatsächlicher Hassrede? Laut den Pressesprechern von Billa etwa durch die geplante spätere Auflösung und der gut gemeinten Intention dahinter. Warum wurde dann die Kampagne frühzeitig aufgelöst? Etwa um den shitstorm in den sozialen Medien zu entschärfen? Also aus Eigeninteresse und nicht aus der Erkenntnis heraus, dass man es eventuell etwas zu gut gemeint hat? Dann wurde schließlich noch das Modewort „Vielfalt“ im Twitter-Post untergebracht. Dieser Begriff scheint wohl als Rechtfertigung für so manche Entgleisung en vogue zu sein, auch die Rechtsextremen bezeichnen ihre Thesen als Teil der Meinungsvielfalt und Diversität.
Die tatsächlichen Aussagen auf den Plakaten sind eigentlich gar nicht das größte Problem an der Kampagne, vielmehr ist es die Entgrenzung und die Tatsache, dass Billa uns damit folgendes mitteilt: Es ist in Ordnung, wenn du Hassrede und Provokationen verbreitest, löse sie nur später irgendwie auf und behaupte, du möchtest damit auf Missstände in der Gesellschaft hinweisen.
Sarah Lee Heinrich hat das übrigens ebenso versucht und zeigt dadurch die Doppelmoral der deutschen Grünen. Ihre früheren antisemitischen, homophoben Postings und Mordfantasien führt sie ja auf die Zitat „eklige weiße Mehrheitsgesellschaft“ zurück und stilisiert sich damit zum Opfer. Zumindest aber hat sie sich dafür entschuldigt. Sie wäre aktuell sicher froh, gäbe es ein Recht auf Vergessenwerden.
Ich unterstelle der Agentur, dass es gar nicht die tatsächliche Intention ist, Missstände zu thematisieren, sondern es ausschließlich um die Generierung von größtmöglicher Aufmerksamkeit durch Irritation (in diesem Fall eher Beleidigung) geht. Im Zweifelsfall sagt man dann in Agenturkreisen: „Es gibt keine negative Publicity“ Man habe doch erreicht, wofür man bezahlt wurde: Aufmerksamkeit und virale Verbreitung.
Was uns die Kampagne aber noch zeigt ist, dass fragwürdige Mechanismen aus der Kommunikationskultur in sozialen Medien bzw. auf Online-Plattformen auch in namhaften Agenturen angekommen sind: Aufmerksamkeit um jeden Preis, Clickbait, bewusste Grenzüberschreitung und Polarisierung durch Segregation der Gesellschaft. Gerade letzteres scheint mir persönlich dabei besonders verwerflich. In einer Zeit, wo wir in vielen Themen eine Spaltung der Gesellschaft erleben, scheint diese Kampagne noch Öl ins Feuer gießen zu wollen. Reichen uns nicht schon die Konflikte Impfgegner – Impfbefürworter, Junge – Alte, Flüchtlinge – Autochthone, Pensionisten – Erwerbstätige, usw., also jene allgegenwärtige Spaltung der Gesellschaft, die bewusst herbeigeführt wird, anstatt gemeinsam Lösungen voranzutreiben.
Es reicht doch schon, dass politische Parteien den Großteil ihrer Öffentlichkeitsarbeit der Gesellschaftspolitik und vorgeschobenen Moralthemen widmen. Dazu fällt mir der Schriftsteller Ronald Schernikau ein, der in einer Rede sagte: „… Moral ist eine Erfindung des Westens, um nicht Politik machen zu müssen…“. Wenn man sich an Sachthemen nicht rantraut, dann holt man halt die Social-Justice-Keule oder Political-Correctness-Phrasen raus. Interessant ist nicht nur, wie sich das aktuell in der Gegenwartspolitik zeigt, sondern auch wie sich immer öfters private Unternehmen zu Hütern der Moral hochjubeln.
Ich dachte eigentlich, es sei schon Allgemeinwissen, dass Menschen mit Behinderungen oder Ältere ebenso wichtig für die Gesellschaft sind, oder man ohne Matura erfolgreich im Berufsleben sein kann. Das sieht auch der österreichische Werberat ähnlich, der in einer Entscheidung den Stopp bzw. Sujetwechsel der Kampagne forderte.
Werbeagenturen sind so ziemlich die letzten Unternehmen, die Gesellschaftspolitik betreiben sollten. Lasst das bitte – Werdet nicht zu SJW, ihr macht es nur noch schlimmer. Weniger Moralin® – mehr tatsächliches Handeln. Erhöht zum Beispiel mal die Gehälter oder verkürzt die Wochenarbeitszeit der überwiegend weiblichen Mitarbeiter.
Natürlich ist auch dieser Text Teil der Werbekampagne, was ich hiermit bedauere 😉