Out-of-focus statt Autofocus

Der Autofokus (AF) in der Fotografie hat zweifelsohne seine Berechtigung und funktioniert in vielen Fällen hervorragend, zumindest insofern man die Spot-Messmethode nutzt und dabei die zwangsläufige Verlagerung der Schärfeebene beim Recompose im Auge behält. Manuell zu fokussieren (MF) kann aber eine bessere Kontrolle der Bildgestaltung, speziell beim Fotografieren mit langen Brennweiten und großer Blendenöffnung, ermöglichen.

Die Ästhetik der Lage und Ausdehnung der Schärfeebene ist eins der im Foto am deutlichsten sichtbaren Ergebnisse eines bewussten Gestaltungsprozesses. Manuelle Fokuskontrolle ist handwerklich kein technologischer Rückschritt, sondern vielmehr eine Erweiterung der kompositorischen Möglichkeiten in der Bildgestaltung.

Die Unschärfe im Hintergrund entsteht durch Zerstreuungskreise, deren Durchmesser die Winkel-Trennschärfe des Sehsinns überschreiten.
Bei APS-C-Sensoren liegt der tolerierbare Zerstreuungskreisdurchmesser für scharfe Abbildung bei ca. 0,018 mm Abbildungsgröße am Sensor (Sensordiagonale/1500).
Anmerkung: der Faktor 1500 stammt aus der Analogfotografie und sollte bei der Digitalfotografie höher angesetzt werden.

Zusätzlich zur manuellen Kontrolle des Fokuspunkts kann mit der Blendenzahl Einfluss auf die Quantität der Unschärfe genommen werden, da damit die Größe der Zerstreuungskreise, welche für Unschärfe verantwortlich sind, gesteuert werden kann. Ausgehende von der kritischen Blende (meist zwischen f/5,6 bis f/8), bei der die optische Abbildungsleistung des Objektivs maximal und die Abbildungsfehler minimal sind, führt eine kleinere Blendenzahl zu mehr Unschärfe vor und hinter dem Fokuspunkt. Umgekehrt ergibt eine größere Blendenzahl eine größere Ausdehnung der Schärfeebene, dh. Nah- und Fernpunkt bewegen sich vom Fokuspunkt weg. Wird die Blendenzahl jedoch zu groß, also der Blenden-Öffnungsdurchmesser zu klein, entsteht Beugungsunschärfe, die das gesamte Foto betrifft.

Das manuelle Fokussieren ist bei so gut wie allen Objektiven möglich, Autofokus-Objektive bieten dafür eine Umschaltmöglichkeit direkt am Objektiv.

AF/MF-Schalter eines AF-Objektivs. Foto: Yongnou

Manuelle Objektive ohne AF (MF-Objektive) haben oft leichtgängigere und breitere Fokusringe als Objektive mit Autofokus. Zusätzlich haben diese meist auch einen Blendenring, der eine gute Usability bei der Wahl der Blendenzahl bietet. Die Schärfentiefeskala bzw. Entfernungsskala sind bei manuellen Objektiven Standard und ein gutes Hilfsmittel bei der Einschätzung der Lage des Fokuspunkts, sowie der Einschätzung des Nah- und Fernpunkts.

Entfernungsskala und Blendenring. In der Abbildung wurde mit dem Fokusring auf 0,3 m fokussiert, dh. bei Blende 8 läge der Schärfentiefebereich (Nahpunkt bis Fernpunkt) zwischen ca. 0,25 m und 0,5 m. Nase und Haare eines Kopfs wären also schon leicht außerhalb der Schärfeebene, wenn man auf die Augen mit 30 cm Abstand fokussieren würde. Foto: Samyang

MF-Assistenzfunktionen wie Fokus-Peaking, digitaler oder analoger Schnittbildindikator und Ausschnittsvergrößerung bzw. ähnliche Hilfsmittel während der Bedienung des Fokusrings sind unerlässlich. Da DSLM-Kameras diese Funktionen standardmäßig bieten sollten, haben diese einen gewissen out-of-the-Box-Vorteil gegenüber DSLR-Kameras. Geräte wie die Fuji X-Pro2 sind hierbei ein erwähnenswerter Sucherkamera-Hybrid.

Hybrid-Sucher der X-Pro3. Foto: Fujifilm

Bei Nahaufnahmen mit kleinen Blendenzahlen kann die Lage der Schärfeebene durch vor- und zurückbewegen der Kamera besser kontrolliert werden als mit dem Fokusring, da hierbei oft wenige Millimeter Abstandsveränderungen entscheidend sind. Man fokussiert also auf das Motiv, kontrolliert zB. mittels Fokus-Peaking die Schärfe und anstatt am Fokusring zu drehen, bewegt man die Kamera leicht vor oder zurück. Diese Bewegung ist auch intuitiver als die Drehbewegung des Rings, speziell bei bewegten Motiven.

Die Berechnung der Hyperfokaldistanz (insofern keine Entfernungsskala am Objektiv aufgedruckt ist) für die jeweiligen Blendenzahlen kann bei der Einschätzung der Schärfentiefe äußerst hilfreich sein, speziell bei der Landschaftsfotografie. So kultiviert man ein Gespür für das vor- und hinter dem Fokuspunkt liegende Ausmaß der Unschärfe bei den jeweiligen Blenden-Öffnungsdurchmessern.

Bei Blende 22 wäre bei diesem 35 mm Vollformat-Objektiv alles ab ca. 1 m (halbe Hyperfokaldistanz) gerade noch akzeptabel scharf abgebildet. Der Fokuspunkt bzw. die Hyperfokaldistanz läge bei ca. 2 m.

Ein gewichtiger Vorteil besteht bei MF-Objektiven darin, dass durch das Drehen des Unendlich-Symbols (mittels Fokusring) auf die gewählte Blende die Hyperfokaldistanz ermittelt wird. Dabei ist aber zu berücksichtigen, wie die Entfernungsskalen berechnet wurden, da dabei das Sensorformat und der angenommene tolerierbare Zerstreuungskreisdurchmesser eine Rolle spielen. Die Hyperfokaldistanz für APS-C ermittelt man beispielsweise wie folgt:


( f² / (Blendenzahl * 0,018) ) + f

Weitere Vorteile des manuellen Fokussierens sind:

  • In der Street-Fotografie kann durch die Einstellung einer Fokuszone intuitiver und schneller gearbeitet werden. Man ermittelt dazu den Nah- und Fernpunkt bei einer gegebenen Blende-Brennweite-Kombination und achtet darauf, dass sich das Motiv innerhalb dieser Zone befindet. Bei dem Objektiv aus der vorigen Abbildung müsste man also nur darauf achten, dass sich das abzubildende Motiv bei Blende 22 mehr als einen Meter entfernt vor der Kamera befindet. Bei Blende f/5,6 wären es bereits ca. 4 m.
  • Bei Sportaufnahmen oder Actionshots kann durch eine Fokusfalle ein guter Shot gelingen. Dabei fokussiert man auf eine bestimmte Entfernung und mittels der Blende wird die Ausdehnung der Schärfentiefe kontrolliert. Wenn das Motiv die Zone betritt, wird schließlich ausgelöst. Das ist sehr gut mit der Serienaufnahme kombinierbar.
  • Bei wenig Licht oder in der Nacht ist manuelles fokussieren oft die einzige Möglichkeit, da der AF nicht mehr verlässlich funktioniert.
  • Auch unscharfe Aufnahmen haben ihren Reiz, speziell wenn die Kamera während der Aufnahme bewegt wird. Durch Drehung oder Reißschwenk der Kamera entstehen so, auch in Kombination mit längerer Belichtungszeit, interessante Aufnahmen.
  • Bei vielen Kameras können AF und MF kombiniert werden. Dabei kann mit dem MF vorfokussiert und mit dem AF dann schneller fokussiert werden, wodurch sich die Auslöseverzögerung reduziert. Umgekehrt ist eine manuelle Verschiebung des Fokuspunkts bei Verwendung des AF möglich.
  • Manuelle Objektive sind meist viel günstiger bzw. häufiger im Gebrauchtmarkt anzutreffen.

Abschließend sollte erwähnt werden, dass trotz all dem Pixel-Peeping im obigen Text immer noch die Freude an der Fotografie im Vordergrund stehen soll. Ja, der Spruch ist abgedroschen, aber es ist ein verbreitetes Phänomen, dass Lichtstärke, Auflösung, Schärfe, Sensorformat, Dynamikumfang und andere durch das Marketing aufgeblasene technische (und oft schöngerechnete) Vergleichsparameter als qualitatives Maß schlechthin betrachtet werden beim virtuellen Pensivergleich. Bei kaum einem anderen Hobby finden sich so viele Experten und Raketenwissenschaftler, die sich verbale und textuelle Zahlenschlachten liefern, wie in der Amateur-Fotografie.

X-E2, XF 35 mm f/1,4

Wenn es bei der Bildgestaltung und Motivwahl mangelt, dann hilft die beste Kamera-Objektiv-Kombination nichts. Der technische Faktor ist bei der Hobbyfotografie vernachlässigbar, da es nicht um Anforderungen kommerzieller Produkt-, Architektur- oder Modefotografie geht, wo Crop, Reprotechnik, Werbewirksamkeit und viel mehr noch der Lichtaufbau sowie das szenische Setup Faktoren sind.

Das Fotografieren als kontrollierten Prozess erleben und genießen zu können gelingt durch Aufmerksamkeit, Achtsamkeit, bewusst gesetzten Handlungen und Geduld. Manuelle Fotografie kann dabei den Genuss deutlich erhöhen. Versuch doch mal die Schärfe, Zeit, Blende, ISO, Brennweite und den Bildausschnitt bewusst zu kontrollieren, ohne Automatiken. Am besten mit einer Kamera, die alle relevanten Bedienelemente am Body hat, wie zB. die Kameras der Fujifilm X-T oder X-Pro-Serie – die kann ich aus eigener Erfahrung empfehlen. Mit anderen Geräten funktioniert das natürlich ebenso.