4 Jahre für runde Ecken

Bei der Vorstellung neuer Produkte von Xiaomi im Frühjahr wurde auch das Ergebnis von vier Jahren Designarbeit vorgestellt: Das neue Logo hat nun noch rundere Ecken. Der Designer erntet viel Kritik dafür.

Kann es wirklich sein, dass der japanische Designer bzw. sein Team vier Jahre gebraucht haben, um das runde-Ecken-Tool in Illustrator zu bedienen? Mein Versuch, die Rundung in Illustrator nachzuvollziehen, legt dies nahe. Es ergibt sich eine nahezu 100-prozentige Annäherung.

Ecken-abrunden-Tool in Illustrator

So einfach darf man sich das in der Beurteilung der Designarbeit des Japaners aber nicht machen. Aus der eigenen Erfahrung ist mir bewusst, dass Auftraggeber oftmals eine enden wollende Begeisterung für gestalterische Innovationen an den Tag legen. Man möchte die erfolgreiche Marke ja nicht durch allzu dramatische Änderungen gefährden und so viel wie möglich vom Goodwill der alten Marke mitnehmen ins neue Design. Das führt dann genau zu solchen Situationen, dass nur ein paar Details verändert werden.

Möglicherweise lautete der Auftrag gar nicht ein neues Design zu entwickeln, sondern das Logo nur zeitgemäßer auszurichten, wie es bei vielen Konzernen (siehe Coca Cola) üblich ist? Solch eine Anpassung an gegenwärtige Wahrnehmungsgewohnheiten scheint mir auch gelungen zu sein in diesem Fall. Die runderen Ecken entsprechen durchaus einer zeitgemäßeren Designstrategie.

Den Designer für mangelnden Mut zu bashen ist zu kurz gegriffen. Eine Entscheidung, den visuellen Auftritt einer erfolgreichen Marke anzupassen, ist immer ein Konsens zwischen Auftraggeber und Gestalter. In vielen Fällen ist dieser Konsens schonmal ein Minimalkonsens. Im Sinne der Wiedererkennbarkeit der Marke ist das auch gar nicht so abwegig.

Vielleicht geht aber vielen Menschen Kritik viel einfacher über die Lippen bzw. die Tastatur als Lob oder Wertschätzung bzw. zumindest Verständnis? Möglicherweise ist es der allgegenwärtigen Trollkultur und scheinbaren Anonymität in den sozialen Medien geschuldet, dass diejenigen, die am lautesten Schreien und am schärfsten kritisieren oftmals jene sind, die gehört und geteilt werden.

Sich aufzuregen ist ja scheinbar zum Grundbedürfnis geworden. War es früher eher allgegenwärtig beim Stammtisch im Wirtshaus, befeuert durch den Genuss alkoholischer Getränke, ist es heute Teil der nüchternen Kommunikationskultur geworden: Das sich aufregen.

Aber da war ja noch was: Xiaomi stellte auch gleich ein Produkt mit dem neuen Logo drauf vor, eine Tüte aus Tyvek. Die Tüte sieht aus und fühlt sich an wie Papier, ist aber aus Kunststoff und muss auch so recycelt werden.

Das darf man schon eher kritisieren, das ist auch was zum sich aufregen. Das ist aber auch nichts Neues. Mit Tyvek habe ich schon vor 15 Jahren zB. Landkarten für Outdoor-Einsatz drucken lassen – wo das zumindest auch Sinn hat.